Mein Jugendfreund -August Kudrup – so erzählte Franz Holtgrave – war der Sohn unsers Heuerlings. Wenn er auf einem der Graswege in der Nähe des Hofes die beiden Kühe hütete, die seine Eltern im Stall hatten, dann trieb ich mich spielend neben ihm her. Er meinte immer noch, dass die Welt gleich hinter dem Ohsener Berg aufhöre. Nein, in diesem Glauben konnte ich ihn nicht belassen. Wenn er weder Zeit noch Lust zum Lesen hatte, dann sollte er von mir erfahren, wie weit die Welt war und was sich früher schon alles zugetragen hatte!

Wusste er etwas von Wittekind? Meine Mutter hatte uns schon einmal von ihm erzählt, doch da hatte August nur halb zugehört. Als ich nun begann, hörte er zwar zu, brachte aber meine ganze Wissenschaft sofort ins Wanken mit der Frage: „Wieviel Pferde hatte er?“

Ich gestand ihm ohne Bedenken zwanzig zu. Bevor ich aber wieder anheben konnte, fragte er unerbittlich weiter nach den Kühen und Schweinen. Sein Sinn war auf das Praktische gerichtet, und weil ich mich bei den Schweinen nicht schnell genug für eine Riesenzahl entscheiden konnte, tat er Wittekind mit der Bemerkung ab: „Ist ja alles gelogen!“ Ganz aufgebracht entgegnete ich ihm: „So, dann ist das auch wohl nicht wahr mit unserm Land hier?“

„Mit welchem Lande?“

„Nun, wie heißt das letzte Stück hier am Wege, da unten vor der Wiese?“

„Das ist doch das Rüenstück!“

„Und warum heißt es so?“

Davon hatte August Kudrup allerdings keine Ahnung, und ich konnte mich wieder in die Brust werfen, denn ich wusste es.

Das war bei der Beerdigung Wittekinds gewesen. Der Herzog hatte vor seinem Tode ausgemacht, ein jeder, der im Leichenzug zu sehen sei, solle ein Stück von dem Stammesland als Eigentum haben. Der Bauer vom Holthof war auch mit zur Beerdigung gegangen, und der Hund, der ihn sonst immer auf der Jagd begleitete, war hinter ihm hergelaufen und in dem langen Leichenzuge bei ihm geblieben. Deshalb hatte der Bauer ein zweites Stück Land bekommen. Und das war das Rüenstück, vor das August inzwischen mit seinen grasenden Kühen gelangt war.

“Nun weißt du auch, warum das Land hier auf der anderen Seite das Königsstück heißt“, erklärte ich ihm triumphierend.

„Das ist wohl das Stück, was der Bauer selbst bekommen hat“, entgegnete er und fragte mich, ob das auch in den Büchern stehe.

Nein, in Büchern war das nicht zu lesen. Aber wahr war es doch, und nun schien die Geschichte auch August Kudrup durchaus glaubhaft.

Dieser Wittekind, das müsse doch ein rechter Kerl gewesen sein, meinte er, weil der nach seinem Tode noch Land verteilen ließ. Heute täte das so leicht kein Bauer mehr.

W. Fredemann