in der Stadt Melle

Kategorie: Sagen-Textform (Seite 3 von 3)

Sagen des Grönegaus als Text

Vom Dürmichskerl

Auf dem Düingberg, im Volksmunde ,,Dürmich“ genannt, befindet sich eine große, muldenförmige Vertiefung. Hier soll einmal das Grab des ,,Dürmichkerls“ gewesen sein.

Der ,,Dürmichkerl“ ist eine sagenhafte Schreckgestalt, die von den Eltern wohl noch als Kinderschreck gebraucht wird, wenn die ganz Kleinen ihre Streifzüge zu weit in den Düingberg ausdehnen. Vor vielen Jahren ist der „Dürmichskerl“ aber einmal die Straße entlanggekommen, die vom Düingberg über Wehringdorf nach Westkilver führt und „Up de Heen“ genannt wird. Vor Freeses Kotten saß ein Heuerling auf der Bank und sah ihn kommen. Riesenhaft und schauerlich war der ,,Dürmichskerl“ anzuschauen, denn er katte keinen Kopf. Der Mann lief in seiner Angst in die Stube und riegelte die Tür hinter sich zu. Er hatte viele Jahr danach nachts immer noch eine Axt an seinem Bett stehen; aber der „Dürmichskerl“ ist nie wieder die Straße entlanggekommen.

Mündl. Überlieferung.

Ännken met de Schlassen

In der Nähe von Mithöfers Stätte in Krukum liegt der ,,Birksiek“. Es ist eine Niederung, die früher einen dichten Holzbestand hatte. Heute ist sie fast ganz urbar gemacht.

In diesem Birksiek hielt sich der Sage nach ein Gespenst auf, das ,,Ännken met de Schlassen“ genannt wurde. Kinder und Erwachsene gingen abends nicht gern am Birksiek vorbei, obwohl das Gespenst sich nur zeigte, wenn es einer gewagt hatte zu rufen: ,,Ännken met de Schlassen, kumm herrut!“ Dann schoss es wie ein Blitz hervor aus dem Dunkel und verfolgte den Kühnen unter fürchterlichem Geheul.

Einst hatten Mlithöfers einen Schulten, der nicht gern spann; denn ihm standen die Finger nicht danach. Nun wollte der Bauer dem Jungen unter einer Bedingung die Pflichtarbeit schenken. Er sprach deshalb zu ihm: „Du brauchst nicht mehr zu spinnen, wenn du am Abend zum Birksiek gehst und dreimal rufst: „Ännken met de Schlassen, kumm herrut!“ Der Schulte war sofort dazu bereit; denn er war ein guter Läufer und kannte keine Furcht. Er bat aber darum, ihm die Dielentüroffen zu halten und sie gleich hinter ihm zuzuschlagen, wenn er ins Haus zurückgekehrt sei. Alles geschah wie gewünscht.

Der Junge ging also los. Ein Rufen erscholl aus dem Grund. Nicht lange danach rannte der Junge über die Schwelle ins Haus, und hinter ihm schlug man die Tür sofort wieder zu. In demselben Augenblick

knallte unter Geheul und Donnergepolter ein Schlag gegen die Tür, dass man glaubte, die Flügel würden aus den Angeln springen. Furcht und Schrecken ergriff alle im Hause.

Als man am andern Morgen die Dielentür von außen besah, fand man den Abdruck eines großen Hufeisens im Holz. Seit der Zeit hat niemand mehr ,,Ännken met de Schlassen“ aus seinem Versteck herausgefordert.

Nach Wüstefeld.

Bauerschaftshunde

Nach dem Glauben unserer heidnischen Vorfahren führte Odin an der Spitze der Götter in den Sturmnächten des Jahres die wilde Jagd an. Auf feurigem Rosse, begleitet von seinen Wölfen Geri und Freki, fuhr er über Felder und Wälder, Ströme und Berge dahin. Nach der Bekehrung zum Christentum ging die wilde Jagd weiter, doch wandelten sich die Götter in Teufel, die Wölfe in unheimliche Hunde. Bis in die Gegenwart, so erzählen die heimischen Sagen, spukten sie groß und mit feurigen Augen als Kirchspiels- oder Bauerschaftshunde auch in den Gemeinden des Grönegaus herum.

Die Heuerleute des Vollerbes Preckwinkel im Kirchspiel Oldendorf waren einmal vor Tagesanbruch auf dem Wege zu ihrem Bauern, um bei ihm zu dreschen. Unvermutet stießen sie in der Dunkelheit auf den Bauerschaftshund, Sie gerbten ihm sofort mit dem Dreschflegel das Fell, wobei sie zu ihrer Sicherheit unausgesetzt 1, 2 zählten. Bald bemerkten sie einen hässlichen Geruch. Plötzlich rief ein Unbekannter die Zahl 3 dazwischen. Da flohen die Männer eiligst auf Preckwinkels Hof. Schweißtriefend kamen sie dort an. Infolge der Aufregung waren sie so erschöpft, dass das Dreschen unterbleiben musste.

Nach Westerfeld. 

Ein Knecht fuhr von Riemsloh nach Schlochtern. Unterwegs wurde er müde und schlief beinahe auf dem Sitz des Wagens ein. Es war kurz vor Mitternacht, als die Fahrt durch das Königsholz begann. Dort folgte dem Wagen plötzlich ein Hund. Er trug eine glühende Kette um den Hals, und seine Augen funkelten zum Erschrecken. Mit einem Ruck erhob sich der Knecht und rief: ,,Rüe, scheär di weg!‘. Das unheimliche Tier sprang nun auf den Wagen, setzte dem Knecht die Pfoten auf die Schultern und glotzte ihn mit radgroßen Augen an, wobei ihm die Haare zu Berge standen. Als nun der Knecht ein Kreuz schlug, fegte das Höllentier über die Flechten und verschwand im Gehölz.

Rabe. 

In Borgloh, das früher zum Grönegau gehörte, lag hinter der Kirche ein Bauernhof. Jeden Abend erschien dort ein großer Hund an der Dielentür, worauf sie von selbst aufsprang und sich wieder schloss. Der Knecht wollte der Sache auf den Grund gehen. Er setzte sich hinter das Herdfeuer und wartete. Nach einer Weile öffnete sich die Tür, und der Hund kam herein. Der Knecht griff einen groben Knüppel aus dem Feuer, trat dem Hunde entgegen und versetzte ihm einen Schlag zwischen die Ohren. In demselben Augenblick stürzte der Knecht zu Boden und sagte kein Sterbenswort mehr.

Rahe.

Die Sage von der Pfaffenkammer und der Rethwelle

 In den Bergen des Teutoburger Waldes zwischen Wellingholzhausen und Borgholzhausen liegt eine große Höhle, die Pfaffenkammer genannt. Die Sage erzählt, sie reiche bis Herford und sei sieben Stunden lang. Sie soll von den ersten Christen dieser Gegend angelegt sein, um sich darin vor den Überfällen der Heiden zu schützen.

Eine kleine Stunde weiter westlich von ihr entspringt auf der linken Seite der Dissener Straße unter hohen Buchen die Rethwelle, früher Rettwelle geheißen. Sie ist ein heiliges Wasser, weil in ihr einst die Taufe gespendet wurde. In der Pfaffenkammer wohnte nun vorzeiten ein frommer Klausner, der bei den Leuten in hohem Ansehen stand. Er heilte die Kranken mit den Kräutern des Waldes und lehrte die Bewohner das Veredeln der Wildlinge.

Hoch ragte das Kreuz am Eingang der Höhle empor und gemahnte die Menschen im Tal an den Sieg des Erlösers über das Heidentum. Eines Tages jedoch war das Kreuz in den Bergen verschwunden. „Was ist geschehen?‘. fragten die Leute bestürzt. Man sandte Boten aus, um nach dem Klausner zu suchen. Vergebliche Mühe; denn niemand kehrte zurück.

Endlich lüftete ein zehnjähriges Mädchen das Geheimnis. Es hatte im Walde Beeren gepflückt. Da hörte es dröhnende Schritte. Ein Riese, der über alle Büsche und Bäume hinwegragte, stapfte heran. Schnell versteckte sich das Kind unter Buchengesträuch. Das Gesicht und die Hände des Riesen waren dicht mit schwarzen Haaren bewachsen. Ihm folgte ein Hund von der Größe eines Rindes. Er war ebenso entsetzlich anzusehen wie sein Herr.

Vor ihm floh das Mädchen in eine Fuchshöhle. Der Hund witterte es, scharrte und bellte am Eingang, bis der Riese ihn anschrie: „Dummes Vieh, du suchst nach Füchsen. anstatt mir Rehe oder Hirsche, Schafe oder Menschen zu bringen!“. Ein Fußtritt folgte den Worten, und der Hund heulte fürchterlich. Dann war alles still bis auf die Schritte des Riesen, die sich nach der Pfaffenkammer entfernten. Die Kunde von dem Riesen und seinem Hunde verbreitete sich in der ganzen Gegend. Ihnen war auch der fromme Klausner zum Opfer gefallen.

Als nun der Bergwald leer war an Nahrung für beide, brach der Hund in die Schafhürden ein, raubte Kühe und tötete auch Menschen. Vor dem Eingang der Pfaffenkammer häuften sich die Knochen, und die Raben und Geier stritten sich um die Reste. Wenn der Riese satt war, legte er sich in die Höhle und schnarchte so laut, dass man ihn im ganzen Gau hörte und vor Furcht erzitterte.

Nun lebte auf der Dietrichsburg der Ritter Jörg, dem im Traum die weiße Frau erschienen war. Sie stand an seinem Lager und sprach: „Dich hat Gott berufen, das Land von dem bösen Riesen zu befreien. Rüste dich vor Sonnenaufgang, nimm ein scharfes Schwert, sattle deinen Schimmel und reite nach Süden. Dort wird dir das Glück begegnen. Folge ihm, ganz gleich, in welcher Gestalt es sich dir zeigt, zu einer Quelle. In der silberklaren Flut bade dich, dann wirst du im Kampf mit dem Riesen Sieger sein. Das Glück, das dir den Weg zeigt, wird dich nicht verlassen dein Leben lang.

Der Ritter Jörg tat am andern Morgen, wie ihm die weiße Frau geboten hatte. Als er an den Teutoburger Wald kam, sprang ihm ein schneeweißes Kätzchen auf den Sattel. Er streichelte es und dachte: „Das wird mein Glück sein!“ Nach einer Weile standen sie vor dem heiligen Wasser. Das Kätzchen sprang ins Gebüsch. Der Ritter stieg ab, legte die Waffen beiseite und badete in der Rettwelle.

Da nahte ein wütendes Gebell, und der große Hund des Riesen stand zum Sprunge bereit an der Quelle, um den Ritter zu zerfleischen. Doch gleich saß die weiße Katze dem Hunde im Kacken und schlug ihm die Krallen in die Augen. Erblindet stürzte er mit furchtbarem Geheul in den Wald zurück. „Das war mein Glück“, sagte der Ritter und stellte sich gerüstet hinter eine breite Eiche, als der wütende Riese mit wuchtigen Schritten auf ihn zukam, aber vorbeiging, an eine breite Schlucht gelangte und die Böschung hinunterglitt, weil ihm die Keule als Stütze aus der Hand gefallen war.

In diesem Augenblick sprang der Ritter aus seinem Versteck hervor, spaltete mit mächtigem Schwertstreich dem Riesen den Kopf und stieß den toten Unhold in die Tiefe. Dann dankte er Gott auf den Knien, bestieg an der Rettwelle sein Roß, hob das Kätzchen zu sich auf den Sattel und ritt heim.

Am andern Tage strömte das Volk in großen Scharen nach der Dietrichsburg und wurde dort aufs beste bewirtet. Die Edlen und Freien waren im Rittersaale versammelt und erlebten, wie der Ritter Jörg das Kätzchen küsste und der Zauber schwand; denn nun hielt er statt seiner eine junge Gräfin von der Ravensburg umfangen, sie war das Glück, das nun immer bei ihm bleiben sollte. Der Jubel im Saale wollte kein ‚Ende nehmen, und alle priesen das Walten des Himmels.

Nach Georg Brlnkmann.

 

 

Die befreundeten Riesen

Die Riemsloher Hünen waren gut Freund mit ihren Nachbarn, den Riesen auf der Ravensburg. Vier Wegstunden wohnten sie auseinander. Aber das bedeutete für sie nicht viel; denn sie bewältigten die Strecke in einer Viertelstunde, wollte der eine den andern besuchen. Die befreundeten Riesen backten ihr Brot immer gemeinsam; diese Woche hier, nächste Woche drüben. Einst sollte der Brotteig wieder in den Ravensburger Backofen geschoben werden. Da hörte der Hünenburger mitten in der Nacht ein Geräusch, wie wenn jemand einen Backtrog auskratze. Schnell sprang er aus dem Bette, knetete seinen Brotteig fertig und lief damit zur Ravensburg, damit er ja nicht zu spät komme.

Mit wenigen Sätzen war er drüben. Dort war aber noch alles ruhig, und der Ravensburger lag im tiefsten Schlafe. Der Hünenburger weckte seinen Nachbar und fragte ihn, ob er nicht schon vorhin seinen Teigtrag ausgeschrappt habe. Der Schläfer rieb sich die Augen und antwortete: „Och watt, gong man vier nau Hus, ick hewwe mi blaut ’n bierten achter de Ohrn klegget.“

Nach Maßmann.

 

Thidrek von Bern

Einer der mächtigsten Helden der Völkerwanderungszeit war der OstgotenkönigTheoderich der Große. Er errichtete in Italien ein Reich, in dem Goten und Römer nach ihren eigenen Gesetzen in Frieden und Eintracht wohnten. In vielen Sagen lebt er als Dietrich oder Thidrek von Bern fort.

Friesische Seefahrer erzählten um das Jahr 1000 die Thidrek-Sage in Island. Von dorther gelangte sie später nach Deutschland unverfälscht zurück. Einige Abenteuer bestand Dietrich auf seinen Fahrten am Osning und im Walde von Riemsloh.

Dietrich oder Thidrek war der Sohn des Königs Thetmar von Bern (Verona). mit 12 Jahren wurde er zum Ritter geschlagen. Seine Gestalt erreichte fast die Größe der Riesen. Ein langes, ebenmäßiges Gesicht, helle Haut und ungewöhnlich scharfe, dunkelblaue Augen zeichneten ihn aus. Sein starkes Haar fiel in langen Locken herab. Es glänzte wie geschlagenes Gold. Er blieb ohne Bart, so alt er auch wurde. Seine Schultern waren zwei Ellen breit und seine Arme so dick wie ein Stamm und so hart wie Stein. In der Lendengegend war er schmal und wohlgestaltet. Seine Hüften und Schenkel, seine Waden und Schienbeine waren so stark, dass sie wohl einem Riesen hätten gehören können. Seine gewaltige Kraft war von keinem Menschen ganz erkannt und von ihm selbst nicht voll erprobt.

Er war munter und leutselig. Er gab gern und sparte weder Gold, noch Silber, noch Kostbarkeiten an seinen Freunden und jeden, der Geschenke verdiente.

Thidrek reitet in den Osning.

Thidrek wurde von seinem Waffenmeister, dem treuen Hildebrand, zu einem tapferen Helden erzogen. Aber im Zweikampfe mit Wiega, dem Sohne des Schmiedes Wieland, unterlag er. Das kränkte ihn in seinem jugendlichen Ehrgeiz. Als die schweren Wunden verheilt waren, zog er heimlich und allein vom Hofe seines Vaters fort und ritt sieben Tage und sieben Nächte bis an den Osning, den Teutoburger Wald. Hier fand er ein gastliches Dach. Man erzählte ihm von einem riesigen Helden Ecke, mit dessen Tapferkeit und Stärke sich niemand messen könne. Thidrek wollte nun allein den Wald bei Nacht durchreiten. Da traf er auf Ecke, den Herrn dieses Gebietes. Ecke reizte ihn zum Zweikampf. Bald prallten die Waffen aufeinander. Die Funken stoben und erhellten die Finsternis. Ecke fiel, und Thidrek entriss ihm die Waffen.

Mit der Beute zog er weiter und begegnete Fasold, dem Bruder des erschlagenen Ecke. Pasold erkannte an den Waffen, was geschehen war. Er forderte Genugtuung in einem Kampfe. Fasold unterlag, trat in den Dienst des Siegers und schwur ihm Treue und Gefolgschaft.

Der Kampf mit dem Elefanten.

 Gegen Morgen brachen sie auf und ritten durch den Rimslohwald. Da lief ihnen ein riesiger Elefant in die Quere, das größte und wildeste Tier, das es gibt. Thidrek fragte Fasold: „Guter Gesell, ich möchte dieses Tier reiten. Kannst du mir Beistand leisten? Wir vollbringen eine große Heldentat, wenn wir es überwältigen.“ Fasold antwortete: „In unserm Waffengang empfing ich schwere Wunden. Ich verlor viel Blut und habe zu wenig Kraft, um dir diesmal zu helfen. Ich glaube aber, du bestehst niemals eine härtere Männerprobe, wenn du den Kampf mit diesem Tiere aufnimmst, magst du nun zurückkommen oder nicht.“

Thidrek erwiderte: „Kannst du mich nicht unterstützen, so gewähre mir wenigstens deine Begleitung. Ich verlasse mich darauf. Gott helfe mir! Ich muss drauflos, ob es nun gut oder schlecht ausläuft.“

Thidrek ritt nun an das Tier heran. Als er dicht bei ihm war, schwang er sich aus dem Sattel und band sein Pferd an einen Olivenbaum. Er stapfte auf das Ungeheuer los und schlug nach ihm. Aber sein Schwert

sprang ab. Der Elefant schlug ihn mit seinen Vorderbeinen, dass er fiel. Fasold sprengte heran, um ihm zu helfen, so gut er konnte. Er stieg ab, kam an das Tier heran, fand aber keinen Angriffspunkt, wo er ihm eins versetzen konnte. Da rief er Thidrek, der unter dem Elefanten lag, zu: „Wenn du deine Hände losmachen und dein Schwert fassen kannst, dann stoß es dem Tier in den Bauch. Dort, mein ich, wird es wohl haften.“

Aber der Elefant drückte ihn so fest, dass er sich kaum rühren konnte. Auch Falke, Thidreks treues Roß, merkte, in welch schwieriger Lage sein Herr sich befand. Falke zerbiss seinen Zügel, mit dem er angebunden war, sprang auf das Tier und schlug ihm seine beiden Vorderfüße so in die Lenden, dass ihm ganz schwach wurde und es fast umfiel. Da jagte Thidrek ihm sein Schwert tief in den Leib. Dann kroch er unter dem Tier hervor, ehe es tot zur Erde fiel. Vorher hatte Fasold ihm schon manchen Hieb beigebracht. Das hatte aber nichts genützt, weil das Eisen nicht haftete. Doch hatte er aus Ehrenhaftigkeit helfen wollen, soviel er konnte. Nun stiegen beide zu Roß und ritten ihres Weges.

Der Kampf mit dem Drachen.

 Als sie aus dem Wald herauskamen, erblickten sie etwas Neues und höchst Wunderbares. Sie sahen nämlich einen großen, langen und dicken Flugdrachen. Er hatte dicke Beine und scharfe, lange Krallen. Sein Kopf war groß und fürchterlich. Er flog dicht über der Erde, und jedes Mal, wenn seine Klauen sie berührten, war es, als wenn man mit einem scharfen Pflug gepflügt hätte. In seinem Maul schleppte er einen Mann. Den hatte er von den Füßen bis hinauf unter die Arme verschlungen, aber Kopf und Schultern hingen aus dem Rachen heraus. Die Hände staken zwischen den Unterkiefern. Aber der Mann lebte noch. Sobald er Thidrek und Fasold reiten sah, rief er ihnen zu: „Wackre Gesellen, reitet hierher und helft mir. Dieses abscheuliche Ungeheuer holte mich von meinem Schild, während ich schlief. Im Wachen wäre mir das nicht zugestoßen.“ Als die beiden Schwurbrüder das hörten, sprangen sie rasch von ihren

Pferden, zückten ihre Schwerter und schlugen beide auf einmal auf den Drachen los. Aber weder Thidreks noch Fasolds Schwert hafteten. Obwohl dieser Drache groß und stark war, ging es doch über seine Kraft, den Mann in voller Rüstung zu tragen. Deshalb konnte er nicht hoch fliegen und sich wehren, als wenn er frei wäre. Da rief der Mann im Drachenmaul Fasold zu: „Ich sehe, dass dein Schwert nicht haftet an ihm. Denn er ist gefeit. Nimm hier das Schwert, das im Drachenrachen steckt. Es ist zu erwarten, dass das am ehesten zerbeißt, was unter seine Schneiden kommt, vorausgesetzt, dass ein Held es führt.“ Fasold sprang unverzagt hinzu, langte zwischen die Kinnbacken des Drachen,

riss das Schwert los und schlug stracks damit auf ihn. Dieses Schwert schnitt so vorzüglich, wie das schärfste Schermesser den Bart. Jetzt rief der Mann wieder Fasold zu: „Hau vorsichtig! Meine Füße hängen im Drachenschlund. Nimm dich in acht! Denn ich möchte mir nicht gerade von meinem eignen Schwert eine Wunde zuziehen.“ Dann fuhr er fort: ,,Schlagt zu, alles was ihr könnt. Denn jetzt kneift mich der teuflische Drache mit seinen Kiefern so fürchterlich. dass mir das Blut aus dem Mund springt, und ich weiß nicht, wie ihr mit ihm fertig werden sollt.“ Sie aber schlugen so lange gewaltig auf ihn ein, bis er tot war.

Thidrek und Pasold schließen mit Sistram Freundschaft.

 So wurde der Mann aus dem Drachenmaul befreit, und die drei wackeren Gesellen standen nebeneinander auf der Erde. Da sagte der Erlöste zu seinen Rettern: „Großen Dank schulde ich euch. dass ihr mich so mutig von diesem verfluchten Satan freigemacht habt. Aber eine Bitte hab ich, erfüllt sie, wenn es billig ist! Gebt mir das Schwert zurück, das Fasold aus dem Drachenmaul zog.“ Thidrek fragte:“Wer bist du, guter Gesell? Welches Geschlechts? Wo bist du geboren? Wohin wolltest du ziehen?“ Er antwortete: „Ich heiße Sistram und mein Vater Reginbald. Er ist Jarl (Herzog) von Venedig, und dort bin ich auch geboren. Ich wollte zu meinem Ohm Hildibrand ziehen, Thidreks Ziehvater. Elf Tage und Nächte war ich unterwegs. Wenig ruhte ich mich aus. So wurde ich müd‘ und mein Pferd auch, Ich legte mich hin, um zu schlafen. Da verschluckte mich dieses Drachenscheusal.“ Thidrek antwortete: „Sei willkommen, guter Gesell! Du sollst dein Schwert bekommen und alles, was du von uns forderst. Denn dir ist alles zum Guten ausgeschlagen. Du hast jetzt Thidrek von Bern getroffen. Du sollst nun mit mir heimziehen und in hohen Ehren bei mir bleiben.“

Die drei suchen Sistrums Roß und reiten nach Bern.

 Die drei gingen nun in den Wald und fanden Sistrams Schild über Erwarten schnell. Aber sein Pferd suchten sie zwei Tage und fanden es nicht. Da machte sich jeder auf eigene Faust auf.

Thidrek kam aus dem Wald heraus und stieß auf eine Burg namens Aldinflis, die einem Grafen namens Ludwig gehörte. Dort fand er das Pferd samt dem Sattel. Die Mannen des Grafen hatten es im Wald erhascht und ihm zugeführt. Thidrek verlangte das Roß zurück und sagte, wem es gehöre. Aber der Graf versetzte, es sei kein Gedanke daran, dass er das Pferd bekäme. Thidrek entgegnete: „Vielleicht läßt du später mehr, wenn du jetzt nicht das Roß gibst, zehn andre oder noch mehr dazu, wenn es sich so fügen soll. Vielleicht kommst du gar um Leben und Reich.“ Der Graf vermutete nach der freimütigen Rede des Fremden – seine Waffen und seine Kleider schienen auch darauf hinzudeuten – dass er ein Kämpe, wenn nicht noch höheren Standes sei. Er fand sein Auftreten großartig und vornehm. So antwortete er: „Aus Freundschaft will ich dir das Roß geben, da ich sehe, dass du ein tüchtiger Recke sein musst. Sonst wärst du nicht so kühn im unbekannten Land.“ Dann zog er seinen Goldring ab, schenkte ihm den und fragte: „Bist du Thidrek von Bern oder einer von seinen Genossen?“ Thidrek antwortete: „Ich will meinen Namen nicht verleugnen. Ich bin Thidrek von Bern, König Thetmars Sohn. Hab Dank für deine Freundestat und leb wohl!“ Der Graf wünschte ihm glückliche Fahrt. Nun ritt Thidrek davon, bis er seine Kameraden fand. Sistram und Fasold schwangen sich in den Sattel. Sie ritten zusammen davon und rasteten nicht, bis sie nach Bern kamen. Thidreks Freunde nahmen ihn so herzlich auf, wie zu erwarten war.

Entnommen aus Thule, Geschichte Thidreks von Bern.

 

 

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