Einer der mächtigsten Helden der Völkerwanderungszeit war der OstgotenkönigTheoderich der Große. Er errichtete in Italien ein Reich, in dem Goten und Römer nach ihren eigenen Gesetzen in Frieden und Eintracht wohnten. In vielen Sagen lebt er als Dietrich oder Thidrek von Bern fort.

Friesische Seefahrer erzählten um das Jahr 1000 die Thidrek-Sage in Island. Von dorther gelangte sie später nach Deutschland unverfälscht zurück. Einige Abenteuer bestand Dietrich auf seinen Fahrten am Osning und im Walde von Riemsloh.

Dietrich oder Thidrek war der Sohn des Königs Thetmar von Bern (Verona). mit 12 Jahren wurde er zum Ritter geschlagen. Seine Gestalt erreichte fast die Größe der Riesen. Ein langes, ebenmäßiges Gesicht, helle Haut und ungewöhnlich scharfe, dunkelblaue Augen zeichneten ihn aus. Sein starkes Haar fiel in langen Locken herab. Es glänzte wie geschlagenes Gold. Er blieb ohne Bart, so alt er auch wurde. Seine Schultern waren zwei Ellen breit und seine Arme so dick wie ein Stamm und so hart wie Stein. In der Lendengegend war er schmal und wohlgestaltet. Seine Hüften und Schenkel, seine Waden und Schienbeine waren so stark, dass sie wohl einem Riesen hätten gehören können. Seine gewaltige Kraft war von keinem Menschen ganz erkannt und von ihm selbst nicht voll erprobt.

Er war munter und leutselig. Er gab gern und sparte weder Gold, noch Silber, noch Kostbarkeiten an seinen Freunden und jeden, der Geschenke verdiente.

Thidrek reitet in den Osning.

Thidrek wurde von seinem Waffenmeister, dem treuen Hildebrand, zu einem tapferen Helden erzogen. Aber im Zweikampfe mit Wiega, dem Sohne des Schmiedes Wieland, unterlag er. Das kränkte ihn in seinem jugendlichen Ehrgeiz. Als die schweren Wunden verheilt waren, zog er heimlich und allein vom Hofe seines Vaters fort und ritt sieben Tage und sieben Nächte bis an den Osning, den Teutoburger Wald. Hier fand er ein gastliches Dach. Man erzählte ihm von einem riesigen Helden Ecke, mit dessen Tapferkeit und Stärke sich niemand messen könne. Thidrek wollte nun allein den Wald bei Nacht durchreiten. Da traf er auf Ecke, den Herrn dieses Gebietes. Ecke reizte ihn zum Zweikampf. Bald prallten die Waffen aufeinander. Die Funken stoben und erhellten die Finsternis. Ecke fiel, und Thidrek entriss ihm die Waffen.

Mit der Beute zog er weiter und begegnete Fasold, dem Bruder des erschlagenen Ecke. Pasold erkannte an den Waffen, was geschehen war. Er forderte Genugtuung in einem Kampfe. Fasold unterlag, trat in den Dienst des Siegers und schwur ihm Treue und Gefolgschaft.

Der Kampf mit dem Elefanten.

 Gegen Morgen brachen sie auf und ritten durch den Rimslohwald. Da lief ihnen ein riesiger Elefant in die Quere, das größte und wildeste Tier, das es gibt. Thidrek fragte Fasold: „Guter Gesell, ich möchte dieses Tier reiten. Kannst du mir Beistand leisten? Wir vollbringen eine große Heldentat, wenn wir es überwältigen.“ Fasold antwortete: „In unserm Waffengang empfing ich schwere Wunden. Ich verlor viel Blut und habe zu wenig Kraft, um dir diesmal zu helfen. Ich glaube aber, du bestehst niemals eine härtere Männerprobe, wenn du den Kampf mit diesem Tiere aufnimmst, magst du nun zurückkommen oder nicht.“

Thidrek erwiderte: „Kannst du mich nicht unterstützen, so gewähre mir wenigstens deine Begleitung. Ich verlasse mich darauf. Gott helfe mir! Ich muss drauflos, ob es nun gut oder schlecht ausläuft.“

Thidrek ritt nun an das Tier heran. Als er dicht bei ihm war, schwang er sich aus dem Sattel und band sein Pferd an einen Olivenbaum. Er stapfte auf das Ungeheuer los und schlug nach ihm. Aber sein Schwert

sprang ab. Der Elefant schlug ihn mit seinen Vorderbeinen, dass er fiel. Fasold sprengte heran, um ihm zu helfen, so gut er konnte. Er stieg ab, kam an das Tier heran, fand aber keinen Angriffspunkt, wo er ihm eins versetzen konnte. Da rief er Thidrek, der unter dem Elefanten lag, zu: „Wenn du deine Hände losmachen und dein Schwert fassen kannst, dann stoß es dem Tier in den Bauch. Dort, mein ich, wird es wohl haften.“

Aber der Elefant drückte ihn so fest, dass er sich kaum rühren konnte. Auch Falke, Thidreks treues Roß, merkte, in welch schwieriger Lage sein Herr sich befand. Falke zerbiss seinen Zügel, mit dem er angebunden war, sprang auf das Tier und schlug ihm seine beiden Vorderfüße so in die Lenden, dass ihm ganz schwach wurde und es fast umfiel. Da jagte Thidrek ihm sein Schwert tief in den Leib. Dann kroch er unter dem Tier hervor, ehe es tot zur Erde fiel. Vorher hatte Fasold ihm schon manchen Hieb beigebracht. Das hatte aber nichts genützt, weil das Eisen nicht haftete. Doch hatte er aus Ehrenhaftigkeit helfen wollen, soviel er konnte. Nun stiegen beide zu Roß und ritten ihres Weges.

Der Kampf mit dem Drachen.

 Als sie aus dem Wald herauskamen, erblickten sie etwas Neues und höchst Wunderbares. Sie sahen nämlich einen großen, langen und dicken Flugdrachen. Er hatte dicke Beine und scharfe, lange Krallen. Sein Kopf war groß und fürchterlich. Er flog dicht über der Erde, und jedes Mal, wenn seine Klauen sie berührten, war es, als wenn man mit einem scharfen Pflug gepflügt hätte. In seinem Maul schleppte er einen Mann. Den hatte er von den Füßen bis hinauf unter die Arme verschlungen, aber Kopf und Schultern hingen aus dem Rachen heraus. Die Hände staken zwischen den Unterkiefern. Aber der Mann lebte noch. Sobald er Thidrek und Fasold reiten sah, rief er ihnen zu: „Wackre Gesellen, reitet hierher und helft mir. Dieses abscheuliche Ungeheuer holte mich von meinem Schild, während ich schlief. Im Wachen wäre mir das nicht zugestoßen.“ Als die beiden Schwurbrüder das hörten, sprangen sie rasch von ihren

Pferden, zückten ihre Schwerter und schlugen beide auf einmal auf den Drachen los. Aber weder Thidreks noch Fasolds Schwert hafteten. Obwohl dieser Drache groß und stark war, ging es doch über seine Kraft, den Mann in voller Rüstung zu tragen. Deshalb konnte er nicht hoch fliegen und sich wehren, als wenn er frei wäre. Da rief der Mann im Drachenmaul Fasold zu: „Ich sehe, dass dein Schwert nicht haftet an ihm. Denn er ist gefeit. Nimm hier das Schwert, das im Drachenrachen steckt. Es ist zu erwarten, dass das am ehesten zerbeißt, was unter seine Schneiden kommt, vorausgesetzt, dass ein Held es führt.“ Fasold sprang unverzagt hinzu, langte zwischen die Kinnbacken des Drachen,

riss das Schwert los und schlug stracks damit auf ihn. Dieses Schwert schnitt so vorzüglich, wie das schärfste Schermesser den Bart. Jetzt rief der Mann wieder Fasold zu: „Hau vorsichtig! Meine Füße hängen im Drachenschlund. Nimm dich in acht! Denn ich möchte mir nicht gerade von meinem eignen Schwert eine Wunde zuziehen.“ Dann fuhr er fort: ,,Schlagt zu, alles was ihr könnt. Denn jetzt kneift mich der teuflische Drache mit seinen Kiefern so fürchterlich. dass mir das Blut aus dem Mund springt, und ich weiß nicht, wie ihr mit ihm fertig werden sollt.“ Sie aber schlugen so lange gewaltig auf ihn ein, bis er tot war.

Thidrek und Pasold schließen mit Sistram Freundschaft.

 So wurde der Mann aus dem Drachenmaul befreit, und die drei wackeren Gesellen standen nebeneinander auf der Erde. Da sagte der Erlöste zu seinen Rettern: „Großen Dank schulde ich euch. dass ihr mich so mutig von diesem verfluchten Satan freigemacht habt. Aber eine Bitte hab ich, erfüllt sie, wenn es billig ist! Gebt mir das Schwert zurück, das Fasold aus dem Drachenmaul zog.“ Thidrek fragte:“Wer bist du, guter Gesell? Welches Geschlechts? Wo bist du geboren? Wohin wolltest du ziehen?“ Er antwortete: „Ich heiße Sistram und mein Vater Reginbald. Er ist Jarl (Herzog) von Venedig, und dort bin ich auch geboren. Ich wollte zu meinem Ohm Hildibrand ziehen, Thidreks Ziehvater. Elf Tage und Nächte war ich unterwegs. Wenig ruhte ich mich aus. So wurde ich müd‘ und mein Pferd auch, Ich legte mich hin, um zu schlafen. Da verschluckte mich dieses Drachenscheusal.“ Thidrek antwortete: „Sei willkommen, guter Gesell! Du sollst dein Schwert bekommen und alles, was du von uns forderst. Denn dir ist alles zum Guten ausgeschlagen. Du hast jetzt Thidrek von Bern getroffen. Du sollst nun mit mir heimziehen und in hohen Ehren bei mir bleiben.“

Die drei suchen Sistrums Roß und reiten nach Bern.

 Die drei gingen nun in den Wald und fanden Sistrams Schild über Erwarten schnell. Aber sein Pferd suchten sie zwei Tage und fanden es nicht. Da machte sich jeder auf eigene Faust auf.

Thidrek kam aus dem Wald heraus und stieß auf eine Burg namens Aldinflis, die einem Grafen namens Ludwig gehörte. Dort fand er das Pferd samt dem Sattel. Die Mannen des Grafen hatten es im Wald erhascht und ihm zugeführt. Thidrek verlangte das Roß zurück und sagte, wem es gehöre. Aber der Graf versetzte, es sei kein Gedanke daran, dass er das Pferd bekäme. Thidrek entgegnete: „Vielleicht läßt du später mehr, wenn du jetzt nicht das Roß gibst, zehn andre oder noch mehr dazu, wenn es sich so fügen soll. Vielleicht kommst du gar um Leben und Reich.“ Der Graf vermutete nach der freimütigen Rede des Fremden – seine Waffen und seine Kleider schienen auch darauf hinzudeuten – dass er ein Kämpe, wenn nicht noch höheren Standes sei. Er fand sein Auftreten großartig und vornehm. So antwortete er: „Aus Freundschaft will ich dir das Roß geben, da ich sehe, dass du ein tüchtiger Recke sein musst. Sonst wärst du nicht so kühn im unbekannten Land.“ Dann zog er seinen Goldring ab, schenkte ihm den und fragte: „Bist du Thidrek von Bern oder einer von seinen Genossen?“ Thidrek antwortete: „Ich will meinen Namen nicht verleugnen. Ich bin Thidrek von Bern, König Thetmars Sohn. Hab Dank für deine Freundestat und leb wohl!“ Der Graf wünschte ihm glückliche Fahrt. Nun ritt Thidrek davon, bis er seine Kameraden fand. Sistram und Fasold schwangen sich in den Sattel. Sie ritten zusammen davon und rasteten nicht, bis sie nach Bern kamen. Thidreks Freunde nahmen ihn so herzlich auf, wie zu erwarten war.

Entnommen aus Thule, Geschichte Thidreks von Bern.